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Bildungsfahrt nach Auschwitz – Bericht von Steven Hartleib (Päd. Mitarbeiter) und Fotos erstellt durch Fabian Haas (Päd. Mitarbeiter)

Vor zweieinhalb Jahren machten wir uns das erste Mal auf den Weg nach Oświęcim.

Im Herbst 2016 bestand die Reisegruppe aus drei Wohngruppen des Ev. Kinderheims Herne. Nachdem die Eindrücke, die wir während der ersten Fahrt erlebten, ihre Wirksamkeit entfalteten und ein Verarbeiten des Gesehenen abgeschlossen war, reifte die Idee, diese wichtigen Erlebnisse noch mehr jungen Menschen nahezubringen. Wie wichtig der Schritt war, diese Fahrt erneut anzubieten, zeigten uns die politischen Entwicklungen der letzten zwei Jahre in der demokratischen westlichen Welt. Auch in Deutschland gibt es neue populistische Strömungen, die eine intensive Erinnerungskultur nötiger machen denn je.

Auch dieses Mal wurden Fördermittel zur Durchführung von Bildungsfahrten des Landes Nordrhein-Westfalen beantragt, jedoch im höheren Umfang, sodass 25 junge Menschen des Ev. Kinderheims Herne die Möglichkeit hatten, diese einmaligen Erlebnisse zu machen.

Schnell fanden sich Interessierte. So setzte sich die Gruppe der Bildungsfahrt aus ganz unterschiedlichen Wohngruppen und Projekten des Kinderheims zusammen. Im Einzelnen fuhren mit: Die Mädchenwohngruppe Villa, das Männerwohnprojekt, die Wohngruppe Annie, die Mädchenwohngruppe Strünkede, die Wohngruppe Leben ist Veränderung, die Heilpädagogische Wohngruppe Herne und zwei Jugendliche aus einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Am 14.10.2018 begaben wir uns also wieder auf Spurensuche. Wir ließen die Vergangenheit für wenige Tage Gegenwart werden. Dieses Eintauchen in eine Epoche, die wie kaum eine andere in der jüngeren Menschheitsgeschichte die Gesellschaften Europas für Jahrzehnte verändern sollte. Genau wie 2016, hatten viele der jungen Menschen, die an dieser Fahrt teilnahmen, nur vage Vorstellungen dessen, was vor so langer Zeit in Deutschland und Europa genau geschehen war. Auch in diesem Jahr bildeten die Grundlage dieser Fahrt die Erzählungen von Erna de Vries, einer Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Aber mehr noch als vor zweieinhalb Jahren beschäftigte uns dieses Mal auch die politische und gesellschaftliche Entwicklung sowohl in Deutschland, als auch in der restlichen westlichen Welt. Populistische Parteien, unverhohlene öffentliche Hetze in sozialen Medien gegenüber Minderheiten und ein damit einhergehender zunehmender Nationalismus in vielen demokratischen Gesellschaften Europas, machen das Erinnern an die nationalsozialistische Herrschaft in Europa und die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden, präsenter und wichtiger denn je.

In diesen Zeiten ist es wichtig, die Erinnerungskultur zu pflegen, sie auch für junge Leute greifbar und real werden zu lassen. Nicht, um ihnen Schuld aufzubürden, sondern um ihnen bewusst zu machen, dass ein Teil deutscher Geschichte das Gesicht Europas verändert hat. Zwar spüren wir diese Auswirkungen heute nicht mehr so stark, unsere Aufgabe ist es jedoch, verantwortlich mit diesem Wissen umzugehen, ohne dass uns dieses Wissen in dem Gefühl schuldig zu sein tatenlos zurücklässt. Wir und die Generationen die Folgen, sollten selbstbewusst und offensiv mit diesem Teil unserer eigenen Geschichte umgehen, denn nur so können wir die Erinnerungskultur aufrechterhalten. Nur so können wir uns populistischen Ideologien entgegen stellen und dafür sorgen, dass wir in Vielfalt und Freiheit leben können.

Wir legten die tausend Kilometer mit dem Reisebus zurück und bezogen in der internationalen Jugendbildungsstätte Oświęcim Quartier. Bei Vollverpflegung und guter Betreuung der SeminarleiterInnen war diese Einrichtung unser Ausgangspunkt aller Erlebnisse.

Am Nachmittag des Ankunftstages hatten wir unsere Führung im Stammlager 1 des ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, sowie des Vernichtungslagers Birkenau. Es waren auch diesmal sehr intensive vier Stunden, in denen erschreckende Schilderungen über den Alltag der Häftlinge in das Bewusstsein aller Teilnehmer dieser Fahrt strömten. Insbesondere die Erzählungen der Schicksale der Kinder, welche ebenfalls in Auschwitz zu Tode kamen, blieben den Jugendlichen noch lange Zeit präsent.

Die Stimmung nach den Führungen kann man als bedrückend beschreiben, denn vielen wurde das Ausmaß dieser Verbrechen das erste Mal bewusst. Sich vorzustellen was passiert ist und dann tatsächlich an diesem Ort zu stehen, sind ganz außergewöhnliche, in ihrer Intensität vollkommen unterschiedliche, Gefühle.

In zahlreichen Gesprächen und im Auswertungsworkshop am nächsten Tag wurde versucht, das Gesehene einzuordnen.

Beim zweiten Workshop wurde dann intensiv an einem Thema gearbeitet. Alle gingen mit der nötigen Ernsthaftigkeit zur Sache und so entstanden spannende und Gewinnbringende Ausarbeitungen.
Auf unserem Programm stand auch die Besichtigung der ehemaligen Synagoge von Oświęcim. Hier erfuhren wir einiges über das Leben der jüdischen Gemeinde vor und nach dem Krieg. Der Großteil der im zweiten Weltkrieg ermordeten Juden waren polnische Juden, die seit Jahr und Tag dort lebten.

Zwischen unseren Aktivitäten konnten wir auf dem Gelände der Bildungsstätte Kickern, Tischtennisspielen und so einiges mehr. Langeweile kam nicht auf. Spannend war auch zu beobachten, wie die jungen Menschen, aus so unterschiedlichen Bereichen des Kinderheims, zueinander fanden und wie schnell Barrieren und Ungleichheiten überwunden wurden. Dies ist ein leuchtendes Beispiel dafür wie Integration, Vielfalt und Gemeinschaft funktionieren kann. In vielerlei Hinsicht kann man sich an diesem Verhalten ein gutes Beispiel nehmen.

Zum Abschluss unserer Fahrt machten wir Halt in Krakau. In Gruppen erkundschafteten wir die alte Universitätsstadt an der Weichsel. Nach einigen Stunden machten wir uns wieder auf den vierzehnstündigen Weg nach Herne. In den Morgenstunden des 19.10.2018 erreichten wir verschlafen das Haupthaus des Kinderheims. Die „bunte“ Gemeinschaft aus so verschiedenen Persönlichkeiten verstreuten sich, so wie sie zusammenfanden, wieder in sämtliche Himmelsrichtungen, mit dem Unterschied, dass sie nun eine gemeinsame Geschichte zu erzählen haben.

Die Bestandteile einer vielfältigen, gerechteren und bunten Gesellschaft, waren tragende Elemente der diesjährigen Fahrt. Wir sind sicher, dass sich fünfundzwanzig junge Menschen in der Zukunft zu Ausgrenzung und Ungerechtigkeiten Gedanken machen werden.

Bericht von Steven Hartleib (Päd. Mitarbeiter) und Fotos erstellt durch Fabian Haas (Päd. Mitarbeiter)

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